Die Unterscheidung der Geister

Gerne erinnere ich mich an die ignatianischen Exerzitien, die ich bei Sr. Roswitha Bach oder bei P. Vitus Seibel gemacht habe. Die Klarheit des ignatianischen Weges tut auch einem Benediktinermönch gut. Seit jeher hat mich dabei die „Unterscheidung der Geister“ interessiert, auf die Ignatius in den Exerzitien immer wieder zu sprechen kommt. Ich habe die Schriften der alten Mönche studiert und darin die „diakrisis“ als die wichtigste Gabe des geistlichen Begleiters gesehen. Geistlich begleiten kann nur der, der diese Gabe des Heiligen Geistes empfangen hat.
Die Mönche unterscheiden dreierlei Gedanken: Gedanken, die von Gott kommen, die von den Dämonen kommen und die aus mir selbst kommen. Woher die Gedanken kommen, das erkenne ich an der Wirkung. Die Gedanken, die von Gott kommen, erzeugen Frieden, Freiheit, Lebendigkeit und Liebe. Gedanken, die von den Dämonen kommen, erzeugen Unruhe, Angst und Enge. Und Gedanken, die aus mir selbst kommen, führen in die Oberflächlichkeit, Zerstreuung und Unverbindlichkeit.

Für mich ist die Unterscheidung der Geister nicht nur in der geistlichen Begleitung anderer wichtig geworden, sondern vor allem im Umgang mit meinen eigenen Gedanken und Gefühlen. Wenn ich z.B. in einem Konflikt mit Mitbrüdern oder Mitarbeitern nicht weiß, wie ich mich verhalten soll, dann lasse ich einfach die verschiedenen Möglichkeiten vor meinem inneren Auge ablaufen. Und ich schaue jeweils auf die Gefühle, die sie in mir hervorrufen. Dabei achte ich nicht nur auf die Gefühle, sondern auch auf meinen Leib. Verkrampfe ich mich bei dieser oder jener Möglichkeit oder fühle ich mich im Einklang mit meinem Leib?

Das Ziel der geistlichen Begleitung und der Gabe der Unterscheidung der Geister ist im frühen Mönchtum die Kontemplation: das Einswerden mit Gott im Gebet. So ist für mich die Unterscheidung der Geister gerade auch beim Gebet wichtig. Wenn ich mich allein vor Gott hinsetze, spüre ich in mich hinein: Herrscht Gott in mir oder sind es meine Bedürfnisse und Wünsche, meine Emotionen als Reaktion auf die Probleme des Alltags, die mein Denken und Fühlen bestimmen? Indem ich in mich hineinhorche, spüre ich, worum es eigentlich geht. Und oft genug muss ich feststellen, dass ich zwar vor Gott sitze, dass Gott aber nicht im Mittelpunkt steht, sondern meine Bedürfnisse und Probleme. Wenn ich das erkenne, dann versuch ich, Gott in mir Raum zu geben, mich mit allen Gedanken und Gefühlen Gott hinzuhalten, damit sein Geist alles Chaotische und Egozentrische in mir durchdringt und damit wirklich Gott in mir herrscht. Wenn Gott in mir herrscht, fühle ich mich frei und weit und erfüllt von Liebe und Frieden.– Anselm Grün (Willi Lambert – Von Ignatius inspiriert, S. 89)