Der Lebensboden

Wie die Wurzel des Keimlings in der Erde mehr sucht als sich selbst, so kann jedes Leben nur lebensfähig sein, wenn es »aus sich herausgeht«. Mit dem Leben aus dem Glauben ist es nicht anders. […] Nur ein Glaube, der bereit ist, »aus sich herauszugehen« und sich mit anderen Menschen zu verbinden, wird Leben finden. Es ist die Entscheidung zur Demut. Fulbert Steffensky schreibt dazu:

»Wie alt muss man werden, um zu erkennen, dass die Beschäftigung mit sich selbst, die Verwirklichung seiner selbst nichts abwirft, wovon man leben kann? Man müsste eine alte Tugend erlernen: die Demut. Sie ist das realistische Eingeständnis, dass wir für uns allein kein spannendes Programm sind. (..) Ich brauche kein mich isolierendes Treibhaus zur Findung meiner Wahrheit. Ich brauche Brüder und Schwestern und Väter und Mütter und Lehrer und Lehrerinnen und Bücher und Theorien und Geschichten, mit denen ich aushandle, was die Wahrheit ist und was die Wahrheit verlangt. (…) Erwachsenwerden und Altwerden heißt, sich eingestehen können, dass man selbst und aus sich heraus nicht so viel hat, wovon man sich ernähren kann. Die Hoffnung, die wir aus uns selbst schöpfen, ist zu gering. Der Mut den wir alleine aufbringen, reicht nicht. Die Träume unseres eigenen Herzens sind zu banal und zu kurzfristig. Wir sind Bettler. Wir können uns nicht alleine ernähren, trösten und ermutigen.« (Fulbert Steffensky – Feier des Lebens, S.31, 32, 37)

Ein Glaube, der meint, er sei klüger als der Keimling und habe die Glaubensgemeinschaft mit anderen Menschen nicht nötig, wird in seiner Selbstüberschätzung kaum lebensfähig sein. Wachstum und Leben sind dem Menschen nur darum verheißen, weil er einen Boden bejaht, der ihn etwas kostet. Es kostet ihn die stolze Verschlossenheit. Ein Mensch, der die Dinge seines Glaubens, seiner Zweifel, seiner Hoffnungen und Wege nur mit sich selbst ausmacht, ist wie ein Samenkorn, das in sich verschlossen bleibt. Es gibt zwei Gründe, das zu tun: die Selbstverliebtheit und die Angst.
Der Keimling stirbt in den Boden hinein und wird so zum Baum. Seine Wurzeln ruhen in einer Verheißung; aus ihr erstrebt er mit aller Kraft nur das Eine: das ihm innewohnende Gesetz zu erfüllen. Stolz und Angst hindern uns daran, sie verschließen uns. Über solch einen in sich selbst verschlossenen Glauben könnte man mit den Worten Jesu sagen: »Als die Sonne aufging, verwelkte er. Und weil er keine Wurzel hatte, verdorrte er«(vgl. Matthäus 13,6).

— Martin Schleske (Der Klang – Vom unerhörten Sinn des Lebens, S. 34-35)