Gott kann warten

Der Mensch ist der Verlierer, Gott der Gewinner, Gott lässt den Menschen starten, er lässt ihn Fortschritte machen, Erfolg haben, und scheint selbst völlig passiv, seine Gegenzüge scheinen recht unbedeutend, selten merken wir sie überhaupt. So schreiten wir vorwärts, stolz und selbstbewusst und gewiss unseres Erfolges und endlichen Sieges. Aber Gott kann warten, er wartet manchmal Jahre um Jahre. … Gott wartet in der Hoffnung, dass der Mensch endlich seine Züge verstehen und sein Leben ihm ausliefern möchte. Aber einmal in jedem Leben – und das mag vielleicht erst in der Stunde des Todes sein  – kreuzt Gott seinen Weg, so dass der Mensch keinen Schritt mehr tun kann, das er anhalten muss und in Furcht und Zittern Gottes Macht und seine eigene Schwäche und sein Elend erkennen muss. … Nur in diesen großen Augenblicken unseres Lebens verstehen wir die Bedeutung von Gottes Führung in unserem Leben, verstehen wir Gottes Geduld und Gottes Zorn, und erst jetzt erkennen wir, dass diese Stunden, in denen Gott unseren Weg gekreuzt hat, die einzigen Stunden von wirklicher Bedeutung in unserem Leben sind. Nur sie machen unser Leben lebenswert.

— Dietrich Bonhoeffer (Jahreslesebuch, 28. Dez)