Archiv der Kategorie: Zitate

Zuspruch

Trösten, ohne zu verhätscheln,
ermutigen, ohne zu zwingen,
ermuntern und auffordern, ohne zu vergewaltigen,
helfen, ohne zu bevormunden,
fordern im Sinne von fördern,
fordern, ohne zu überfordern,
behüten, aber nicht überbehüten,
fürsorglich sein, aber nicht erdrücken,
umsorgen, aber nicht unselbstständig machen,
Fürsprache einlegen, ohne zu entmündigen,
empfangen und willkommen heißen, aber nicht festhalten,
annehmen, aufnehmen – und wieder loslassen.

— Hans Gerhard Behringer (Die 12 Grundkräfte des Lebens, S. 120)

Vorlesung bei Karstadt

ZUM ERSTEN MAL …! Heute war Premiere. Jenny hatte in ihrem kurzen Studentinnenleben ja schon viele Jobs übernommen, aber „Engel“ war bis jetzt noch nicht dabei gewesen. Okay, sie war schon mal als Werbemöhre verkleidet durch den Supermarkt gelaufen und hatte Zettel verteilt … Das war wahrscheinlich ähnlich seltsam gewesen (besonders, als ein junger Mann zehn Minuten lang mit den Worten »Ich bin ein Häschen und will mal knabbern« hinter ihr hergelaufen war). Heute nun trug sie kein Plüschmöhrenkostüm, sondern eine blonde Perücke mit vielen Löckchen und einem glitzernden Stern darauf, ein langes weißes Wallegewand, Flügel, eine kleine Harfe, ein Körbchen und ein strahlendes Engelslächeln, und sie schwebte durch Karstadt, um den Damen kleine Pröbchen eines „himmlischen Duftes“ anzubieten und ihnen eine wunderbare Adventszeit zu wünschen. Leicht verdientes Geld, wenn auch in alberner Aufmachung, fand Jenny und war froh, dass sie bisher keine Bekannten getroffen hatte. Was sich just in diesem Augenblick änderte, denn von rechts nahte Professor Brückner (philosophische Ethik) und schien sie auch schon bemerkt zu haben, denn er stockte im Vorbeigehen, drehte sich um und kam schnurstracks auf sie zu.
Man denke an das Klischee vom verträumten und schusseligen Professor – Brückner entsprach diesem Bild in höchstem Maße, was seine Studenten und Studentinnen gleichzeitig zu freundlichem Spott und – wegen der hohen Kompetenz und der Liebenswürdigkeit Brückners – zu liebevoller Bewunderung reizte. Der Professor galt im positiven Sinne als Unikum. Er liebte sein Fach und seine Studenten, kannte auch in sehr großen Vorlesungen nach kurzer Zeit die Namen aller und war dafür bekannt, Gespräche auf seine ganz eigene Art zu gestalten.
So auch jetzt: »Frau Gerresheim, Sie sind ja ein Engel! Wie schön, jetzt in der Adventszeit habe ich mich gerade mal wieder mit unseren stillen Begleitern befasst und schon treffe ich Sie. Der Begriff „Engel – Angelos“ hat ja verschiedene Ursprünge, aber das wissen Sie ja sicher, nicht wahr? Ja, selbstverständlich! Wird es vom alt-ägyptischen Wortstamm „ang“ abgeleitet, bedeutet es „Leben“. „El“ bedeutet „Gotteslicht“. Somit wäre es als „die im göttlichen Licht Lebenden“ zu deuten. Ist das nicht wunderschön? Wenn wir es vom griechischen „angelos“ ableiten, bedeutet es „Bote, Botschafter und Gesandter des Göttlichen“. „Botschafter Gottes“ – auch diese Bedeutung ist so erhellend! Manchmal denke ich, ich hätte doch Sprachwissenschaftler werden sollen. Die ersten Engeldarstellungen finden sich übrigens schon um 2250 vor Christus in Mesopotamien, z.B. auf einem Rollsiegel des Schreibers Adda, war Ihnen das bewusst? Die Bibel beschreibt sie selbstverständlich auch, sie geht davon aus, dass Engel himmlische, mit Bewusstsein begabte Geistwesen sind; aber sie verzichtet weitgehend auf ein plastisches Ausmalen dieser Himmelswesen, die in anderen Religionen damals verbreitet war. Viel wichtiger ist ihr die Funktionen der Engel: den Menschen Gottes Wort, Gegenwart, Absicht und vollgültigen Willen mitzuteilen. Darum erscheinen Engel in der Bibel oft einfach als „Boten Gottes“ in menschlicher Gestalt. Sie sind ohne Zweifel souverän und nicht an die Schranken und Bedingungen der menschlichen Sinnenwelt gebunden. Aber diese Fähigkeiten treten meist hinter ihrer Botschaft zurück, die das zentrale Element bildet. Welche Botschaft bringen denn Sie, Frau Gerresheim?«
Vn diesem Monolog gleichzeitig geplättet und fasziniert stotterte Jenny: »Äh, also: „Angel Dreams“ ist die neue Duftkreation von Calvin Groß«, und dabei hielt sie ihm reflexartig eine ihrer Gratisduftproben entgegen. Welche der Professor auch brav nahm, öffnete und unter seine Nase hielt. »Nun«, sagte er dann lächelnd, »was heutzutage wie ein Engel scheint, bringt anscheinend eher Botschaften von Calvin Groß als von Gott. Die Dinge sind eben nicht immer das, was sie zu sein scheinen, nicht wahr, Frau Gerresheim? Da sieht jemand wie ein Engel aus und ist keiner, aber vielleicht ist Ihnen heute schon ein Engel begegnet, der nicht wie einer aussah? Vielleicht ist der Mann, der dort drüben steht, ein Engel, oder die Frau an der Kasse? Vielleicht ist ganz in der Nähe einer von Gottes Boten. Vielleicht hat er sogar eine Nachricht für Sie oder mich? Ach, ist das nicht ein wundervoller Gedanke, dass Gottes Welt sich unsichtbar um uns breitet und von seinen Boten durchschritten wird? Aber ich sehe, ich halte Sie auf, liebe Frau Gerresheim. Ich danke Ihnen für dieses angenehme Gespräch! Seltsam, wieso habe ich eigentlich dieses Fläschchen in der Hand?«
Kopfschüttelnd blickte der Professor auf die kleine Duftprobe, gab sie geistesabwesend an Jenny zurück und war schon im Gehen begriffen, als er sich plötzlich wieder zu ihr umdrehte und sagte: »Heute ist euch der Retter geboren‘, das haben die Engel in Bethlehem den Hirten verkündet. Ist das nicht eine wunderbare Botschaft? Uns ist der Retter geboren …«
Dann verschluckte ihn die Menge der Einkaufenden, und als Jenny ihn etwas entfernt kurz wieder auftauchen sah, da war es ihr fast , als umleuchtete ihn ein klares Licht.

— Karin Stoletzky

Don’t be put off by mistakes

So before you start, be ready for making lots of mistakes, feeling hopeless and thinking you will never be any good at it and wanting to give up. It’s just part of the process… you will need to be strong enough to push through the tough times, cos there will be times when you get frustrated and feel like you are not making progress.

— Justin Sandercoe

Der Lockruf der Freude

Das Schwere, die Trübsal kommt von ganz alleine, die Freude aber muss man suchen. Was uns das Leben schwer macht: Krankheit, Schwäche, Missgeschick und Misserfolg, Enttäuschung und Verlust, Schwermut und Resignation, Kleinmut und Verzagtheit, alles das kommt von alleine; ungefragt und ungesucht tritt es in unser Leben ein, und wir können es nicht verhindern. Es gibt auch da offenbar so etwas wie die Schwerkraft: Was fällt, das fällt, und es fällt immer nach unten, von ganz alleine, wie wir sagen.
Anders die Freude. Sie ist zwar allgegenwärtig in unserem Leben, aber sie versteckt sich gerne, und sie kann sich verdammt gut verstecken. Sie lässt ihren Lockruf ertönen und zieht sich im selben Moment in irgendein Gestrüpp zurück, als wollte sie mich necken, als riefe sie mir zu: »Such mich doch, such mich doch!« Nein, in der Regel liegt die Freude nicht auf der Straße. Es gibt sie nicht im Sonderangebot, auf Ramschtischen und im Billigkaufhaus. Es gibt sie auch nicht im teuren Luxusladen, mit Geld ist sie nicht zu bezahlen. Sie hat auch keine Homepage, wo sie der Computerfreak jederzeit zur Verfügung hat, und genauso wenig gibt es einen Kanal, auf dem der Zapper-Philipp sie mit der Fernbedienung in der Hand erwischen kann. Wo ich sie mit Sicherheit zu treffen meine, ist sie gerade weggegangen, und wo ich sie am wenigsten vermute, ausgerechnet da wartet sie auf mich. Zum Greifen nahe ist sie, bei mir, in mir, über mir, unter mir, vor mir, hinter mir, rechter Hand, linker Hand, und lässt sich doch nicht greifen und begreifen! Und wenn es in Zeiten schwersten Unglücks und tiefster Traurigkeit so scheint, als habe sich die Freude endgültig verflüchtigt, dann ist sie doch präsent, ein Tröpfchen vielleicht im Meer der Traurigkeit, und plötzlich hörst du wieder ihren Lockruf, diese Ermunterung, die nie ein Ende nimmt, ganz leise vielleicht, aber herzlich und dringlich, freundlich einladend. Ja, du bist zur Freude geboren und nicht zu Missmut und Frust. Immer und überall wartet die Freude auf uns, zu ihrem Werben aber gehört immer die einfache Aufforderung, die dem, der die Sprache der Bibel ein wenig kennt, so vertraut ist: »Mach dich auf!«

— Reinhard Deichgräber (Aschenbahn und Himmelreich, S. 60)

Der Wille Gottes

Jedes Geschehnis ist ein Sakrament des Willens Gottes. Wie der Leib Christi in Brot und Wein verborgen ist, so ist der Wille Gottes in den alltäglichen Begebenheiten verborgen.
Alle historischen Ereignisse sind so heilig wie die Heilige Schrift, weil sie gleichfalls ein Ausdruck des Willens Gottes sind. Und die bescheidenste Begebenheit des Alltags ist ein Ausdruck des Willens Gottes und darum genauso wichtig wie das wichtigste historische Ereignis. Das Verpassen eines Zuges ist genauso wichtig wie das Verlieren der Schlacht von Waterloo.
Darum gibt es nichts Banales und nichts Unbedeutendes auf der Welt (»Alle Haare auf eurem Kopfe sind gezählt.«) Der unbedeutendste Zwischenfall kann die ganze Weltgeschichte verändern. Ein fallender Dachziegel verursachte den Tod eines spanischen Königs, und der kleine Zeitungsjunge von heute kann morgen die Titelseiten aller Zeitungen der Welt füllen. Auch andere noch so winzige Vorkommnisse haben irgendwie den Lauf der Welt beeinflusst, obwohl wir nie etwas davon gehört haben. Und genauso wichtig ist das Leben jedes einzelnen Menschen, auch wenn keine Zeitung je etwas über ihn berichtet.
Unser tägliches kleines Leben ist voller Wunder und Geheimnis. Es ist wie eine Weiterführung der verborgenen Jahre Jesu in Nazareth, die nie in den Evangelien beschrieben wurden.

Obwohl diese Jahre wie auch alle anderen unbekannten Taten Jesu nie aufgezeichnet wurden, haben sie darum doch nicht weniger Bedeutung.
Die Heilige Schrift ist nichts weiter als ein Fragment – erleuchtet vom Heiligen Geist – der Weltgeschichte, des Eingreifens Gottes in den Lauf der Welt. Alle Geschichte ist heilig, und heilig sind auch die Ereignisse unseres Privatlebens. Die Bibel, von der Genesis bis zur Apokalypse, ist nur ein beleuchteter Ausschnitt aller menschlichen Geschehnisse vom Anfang bis zum Ende der Welt, vom ersten Morgen bis zum letzten. Der Rest der Geschichte unserer Welt und auch anderer, vielleicht bewohnter Welten blieb im Dunkeln, ist ein unleserlicher Text. Darum ist der Wille Gottes aber nicht weniger gegenwärtig in ihm.
Dieser Text der Weltgeschichte kann allerdings vom Menschen verändert und verfälscht werden, und das ist auch in reichlichem Maße geschehen, von der ersten Sünde an. Die Heilige Schrift ist auch die Geschichte des dauernd unterbrochenen Willens Gottes durch den Menschen. Gott hat beschlossen, Israel ins Gelobte Land zu führen. Als das Volk sich auflehnt und nach Ägypten zurückkehren will, ändert Gott seine Pläne und beschließt, es auszurotten und für Moses ein neues Volk zu schaffen. Moses bittet Gott für das Volk Israel und bewirkt, dass Gott erneut Seine Meinung ändert, er rottet es nicht aus, lässt es aber auch nicht ins Gelobte Land gelangen, wie Er zuerst vorgehabt hatte. »Ihr sollt nicht in das Land eingehen, das ich euch mit zum Schwur erhobener Hand versprochen habe.«
Der Wille Gottes ist ein unheimlich kompliziertes Gewebe, das immer wieder durch den freien Willen des Menschen durchkreuzt wird, das aber darum doch nie reißt. Jeden Augenblick ändert Gott Seinen Willen, je nachdem, wie sich die Umstände durch das Dazwischentreten des Menschen wandeln.
In jedem einzelnen Fall beachtet Gott aber auch die unendlichen Wirkungen, die eine Abänderung Seines Willens für alle anderen Fälle und Umstände des Universums zur Folge haben könnte. Wenn ich um Regen für meine Ernte oder um Schönwetter für eine Verabredung bitte, denke ich nur an die Vorteile, die das Regnen oder Nichtregnen für mich hat. Gott denkt aber gleichzeitig an alle Wirkungen und Folgen der Wirkungen, die das Regnen oder Nichtregnen auf die ganze Welt hat. Der Wille Gottes ist die Koordinierung aller dieser Wirkungen, die Er mit unendlicher Weisheit und unendlicher Liebe kombiniert. Darum sollen wir mit Freuden alles annehmen, was geschieht, so widrig es im Augenblick auch sein mag, weil alles zu unserem besten geschieht, weil es uns zuträglich.
Das einzige, was uns nicht zuträglich ist, ist die Sünde. Allein die Sünde hängt ausschließlich von uns ab und nicht vom Willen Gottes. Der Sünde verwirrt den Willen Gottes, sie ist das einzige Gegensätzliche zu ihm.
Aber alles, was nicht von unserem Willen abhängt, ist der Wille Gottes. Sogar die Wirkungen und Ergebnisse der Sünde sind Gottes Wille. Nur die Sünde selbst hängt von uns ab, die Wirkungen und Konsequenzen unserer Sünden und der Sünden anderer unterliegen dem Willen Gottes. Die innere Zustimmung eines Menschen, der auf einen anderen Menschen schießt, hängt von diesem Menschen selbst ab. Ob der Revolver aber geladen war und welchen Lauf die Kugel nimmt, ob sie trifft oder nicht und alle anderen Umstände, ist Sache Gottes. Darum sollen wir alles segnen, was geschieht, denn alles, sogar die Konsequenzen der Sünde, ist der Wille Gottes. Von uns hängt einzig und allein die Zustimmung zur Sünde ab. Manchmal wollen wir den Willen Gottes nicht erkennen, weil er verkleidet unter schrecklichen Aspekten auftritt. Die Juden wollten ihren König nicht anerkennen, als er ihnen mit Dornen gekrönt vorgeführt wurde; da zogen sie lieber die Diktatur des Tiberius vor. »Wir haben keinen anderen König als den Kaiser.« (Der Kaiser würde sie später niederdrücken, während Christus ihr Befreier war.) Der Wille Gottes zeigt sich uns oft versteckt unter Misserfolg, Elend, Einsamkeit und Tod. Dann wählen wir lieber den Tiberius, den Vertreter der Macht, der Vergnügungen, des Geldes und der Sinnlichkeit, der Grausamkeit und des Sieges. Dann rufen wir: »Kreuzigt ihn, wir haben keinen anderen König als den Kaiser.«
Der Wille Gottes kann verkleidet als Krebs zu uns kommen, als Verkehrsunfall oder als Geheimpolizei eines totalitären Regimes, um uns eines Nachts zu verhaften. Und es ist schwer, ihn unter dieser Aufmachung zu erkennen und zu segnen. Aber alles, was wir Wirklichkeit nennen, ist die Fleischwerdung des Wortes Gottes, ist das Wollen Gottes. Alle Wirklichkeit ist heilig. Ein flüchtiges Treffen auf der Straße, ein verpasster Zug oder ein rechtzeitig erreichtes Flugzeug, alles sind Verwirklichungen des Willens Gottes.
Gott ist nicht nur in den äußeren Zeichen der Sakramente gegenwärtig, sondern in gewisser Form in allem Wein und in allem Weizen, in allem Wasser und in allem 0 1, in der ganzen Realität der Welt. In aller Wirklichkeit ist Gott verborgen, stumm und demütig. Alle Wirklichkeit ist Sakrament.
Wir wissen nicht, was uns gut tut, darum dürfen wir nichts wollen und nichts nicht wollen, sondern nur das annehmen, was Gott für uns will oder nicht will, weil nur Er weiß, was uns not tut.
Wir sind umgeben von Ereignissen, die wir nicht verstehen, von denen wir nicht wissen, woher sie kommen und wohin sie führen, wie ein Blinder im Verkehrsgewühl. Wir sind wie ein Kind auf einem großen Flughafen voller Flugzeuge, die kommen und gehen. Wir können in keins von ihnen einsteigen, weil wir ihre Route nicht kennen. Wir kennen nicht einmal unser eigenes Ziel, wir können nur warten, bis jemand kommt und uns zeigt, in welches wir einsteigen müssen. So kennen wir auch unser Schicksal nicht und wissen nicht, welche Ereignisse unseres Lebens gut und welche schlecht für uns sind Wir kennen unsere Zukunft nicht, und auch unsere Gegenwart und unsere Vergangenheit ist uns nur bruchstückhaft bekannt.
Die Sünde ist der Glaube, wir wüssten besser als Gott, was gut für uns ist, die Annahme, Gott hätte sich in dem einen oder anderen Fall in Bezug auf uns geirrt.
Gott weiß, was uns zuträglich ist, weil alles, was geschieht und noch geschehen wird, in seinem Geiste seit aller Ewigkeit schon geschehen ist, wie ein Foto, das schon vor einiger Zeit aufgenommen wurde und das wir nun beim Entwickeln des Films in der Dunkelkammer zum ersten Mal sehen. Oder wie ein Film, der seinerzeit gedreht wurde und den wir nun auf der Leinwand projiziert sehen. Oder wie das Licht eines Sterns, das vor Millionen von Jahren ausgesandt wurde, das aber erst jetzt auf unsere Netzhaut gelangt.
Gott weiß, dass Dinge, die heute schlecht für mich sind, morgen vielleicht gut für mich sein können. Und Gott kann heute etwas wollen, was Er später nicht mehr will. Er kann hier etwas beabsichtigen, was Er an einem anderen Ort nicht will, oder mit mir etwas vorhaben, was Er mit einem anderen Menschen nicht vorhat.
Als die Jungfrau von Orleans in ihrem Prozess gefragt wurde, ob Gott auch die Engländer liebe, antwortete sie:
»Gott liebt die Engländer nicht in Frankreich.« Das ist das Mysterium unserer Berufung. Gott liebt auch einen Diktator von Nicaragua, aber Er liebt ihn nicht als Diktator von Nicaragua.

— Ernesto Cardenal (Das Buch von der Liebe, S. 115)

Verdammnis

Die Verdammnis verdient sich der Mensch, er fordert sie, und Gott kann nicht umhin, sie ihm zu geben. Aber die Erlösung verdient sich der Mensch nicht, sondern sie wird ihm von Gott geschenkt. Die Verdammnis gibt sich der Mensch selbst, die Erlösung ist ein Geschenk.

— Ernesto Cardenal (Das Buch von der Liebe, S.126)

Ewigkeit

Der Tod existiert für uns nicht mehr. Unser Tod ist die Taufe, durch die wir am Tode Christi teilhaben, durch die wir in Christus sterben. Christus starb für uns und an unserer Statt, darum brauche wir nicht mehr zu sterben. Der leibliche Tod ist nichts anderes als der Anfang des ewigen Lebens, die Bedingung für die Auferstehung. Wer getauft ist, hat den Tod schon überstanden.
[…]
Für einen Mönch, für einen religiösen Menschen, existiert der Tod nicht mehr, sondern ist längst überwunden. Und wer in Gemeinschaft mit Gott lebt, der weiß, dass ihn nichts mehr schrecken kann.
Die Welt macht sich die größten Sorgen um die Flüchtigkeit des Lebens. Wir aber freuen uns gerade, dass es so flüchtig ist und dass die Tage so schnell vergehen. Wir sehen das Leben vorüberfliegen wie einen Schnellzug und freuen uns darüber, wie sich jemand freut, der in einem Zug sitzt und schnell seinem Ziel, einem glücklichen Wiedersehen, entgegenfährt. Die Zeit ist ein Zug, mit einem Ziel, die uns zu jemandem bringt.

Und es ist eine Lüge zu behaupten, das Leben sei kurz. Unser Leben ist nicht kurz, sondern ewig. Wir haben nicht den Tod, sondern die Ewigkeit vor uns. Wir wurden nicht geboren, um zu sterben, sondern um zu leben und ewig zu leben.

— Ernesto Cardenal (Das Buch von der Liebe, S. 129)

Rituale der Dankbarkeit

Wer einmal anfängt zu danken, der wird so schnell nicht fertig damit. Und er wird entdecken, dass er leichter wird. Lockerer. Gelassener. Zufriedener. Und dass es seine Umgebung auf geheimnisvolle Weise auch wird. Nicht nur Jammern steckt an. Danken tut es auch.
Hanspeter Wolfsberger, der Leiter des Hauses der Besinnung in Betberg, hat das folgende Sieben-Tage-Dankprogramm zusammengestellt. Variationen und Ergänzungen sind nicht nur erlaubt, sondern hochwillkommen!

Sonntag:
Einen »Psalm-Spaziergang« machen. Ich lese an jeder Bank oder einer anderen schönen Stelle einen Lob-Psalm und ergänze ihn mit eigenen Dankworten. Am Morgen will ich Zeit in einer Kirche verbringen und mir staunend bewusst machen: Ich bin umgeben von dankenden und lobenden Elementen und Mächten (siehe Offenbarung 4,8-11; 5,7-10; 5,11-14; 7,11-12 und andere).

Montag:
Einen Dank-Stein in die Hosentasche stecken. Jedes Mal, wenn ich ihn spüre, will ich Gott für irgendetwas loben und ihm danken.

Dienstag:
Dankes-Freundlichkeiten verteilen. Ich will meine Fantasie spielen lassen, um – aus Dankbarkeit gegenüber Gott – möglichst vielen anderen Menschen heute eine Freude zu machen. Ein Anruf, ein Brief, ein Geschenk, eine freundliche Geste.

Mittwoch:
Ich fertige Abschriften eines Dank- und Lobliedes an, deponiere sie an verschiedenen Plätzen, an denen ich während des Tages vorbeikomme – auf dem Schreibtisch, im Auto, am Spülbecken, im Bad – und halte das Lied dadurch in mir lebendig.

Donnerstag:
Ich male mir einen Punkt auf meinen Handrücken, um mich daran zu erinnern: Aus Dank für Gottes großzügige Treue will ich heute auf ein bis drei Menschen zugehen, mit denen ich eigentlich nicht gut »kann«. Und ich will ihnen irgendeine Freundlichkeit zukommen lassen. Eine Karte, ein Eis, einen Kaffee, ein Kompliment.

Freitag:
Ich will heute viel anschauen und mich innerlich davon berühren lassen. Kleine Wäscheklammern an meinem Computer, an meinem Terminkalender oder an meinem Autoschlüssel sollen mich daran erinnern. Heute Abend erzähle ich einem anderen, was ich heute Schönes gesehen habe.

Samstag:
Ich verändere etwas an mir oder in meiner Umgebung, um aufmerksamer zu werden: Ich stecke meinen Ring an einen anderen Finger, ich ziehe bewusst ein besonderes Kleidungsstück an – denn ich will heute den Sonntag vorbereiten. Ich will heute einen Moment der Stille suchen. Ich will heute oder morgen einen Menschen finden, mit dem ich bewusst und dankbar Gott loben kann.

— Jürgen Werth (Danken tut gut, S. 148)

Der Durst

In den Augen aller Menschen wohnt eine unstillbare Sehnsucht. In den Pupillen der Menschen aller Rassen, in den Blicken der Kinder und Greise, der Mütter und liebenden Frauen, in den Augen des Polizisten und des Angestellten, des Abenteurers und des Mörders, des Revolutionärs und des Diktators und in denen des Heiligen: In allen wohnt der gleiche Funke unstillbaren Verlangens, das gleiche heimliche Feuer, der gleiche tiefe Abgrund, der gleiche unendliche Durst nach Glück und Freude und Besitz ohne Ende. Dieser Durst, den alle Wesen spüren und von dem auch im Gleichnis von der Samariterin am Brunnen gesprochen wird, ist die Liebe zu Gott.
Um dieser Liebe willen werden alle Verbrechen begangen und alle Kriege gekämpft, ihretwegen lieben und hassen sich die Menschen. Um dieser Liebe willen werden Berge bestiegen und die Tiefen der Meere erforscht, für sie wird geherrscht und intrigiert, gebaut und geschrieben, gesungen, geweint und geliebt. Alles menschliche Tun, sogar die Sünde, ist eine Suche nach Gott, nur sucht man Ihn dort, wo er am wenigsten zu finden ist.
Darum sagt der Kirchenvater Augustinus: »Suche, was du suchst, aber nicht dort, wo du es suchst.« Überall suchen wir Gott, auf Festen und Orgien und Reisen, in Kinos und Bars, und doch finden wir Ihn einzig und allein in uns selbst.

— Ernesto Cardenal (Das Buch von der Liebe, S. 27)

Schmerz

Der Schmerz ist ein heiliger Engel, und durch ihn sind die Menschen größer geworden als durch alle Freuden der Welt.

— Adalbert Stifter